Chance statt Tabu! Zyklusorientiert arbeiten und leben

Chance statt Tabu! Zyklusorientiert arbeiten und leben

»Warum man wichtige Termine kurz vor den Eisprung legen sollte« titelt Der Spiegel. Und auch bei ZEIT Online liest man »Ja sagen zu zyklusorientierten Team-Meetings«. Der weibliche Zyklus spielt für zumindest mal etwa die Hälfte der Weltbevölkerung eine ganz zentrale Rolle im Leben. Am Arbeitsplatz hingegen immer noch kaum. Frauengesundheit ist bestenfalls Privatsache, schlimmstenfalls schambehaftetes Tabu. So wird ein bedeutsames Element weiblicher Natur schlicht unter den Teppich gekehrt. Mit schwerwiegenden Folgen. 

 

Der weibliche Zyklus - immer noch Tabuthema 

Geringere Produktivität, Unwohlsein, Schmerzen. Der Zyklus ist oft negativ konnotiert - bestenfalls lästig, schlimmstenfalls belastend. Laut einer niederländischen Studie (rund 33.000 Frauen im Alter zwischen 15 und 45 Jahren) haben Frauen, aufgrund von Problemen mit und um die Menstruation, an durchschnittlich neun Tagen im Jahr massive Einbußen ihrer Produktivität.

In der Arbeitswelt findet das Thema kaum Beachtung. Eine britische Studie aus dem Jahr 2017 hat gezeigt, dass sich lediglich sieben Prozent der befragten Arbeitgeber:innen aktiv mit der Menstruation auseinandersetzen. Insofern spiegelt das Thema Zyklus am Arbeitsplatz auch die leider noch immer in vielen Bereichen vorherrschende Dominanz des Männlichen wider. Wo Männer in Führungspositionen sind, haben »Frauenthemen« oft wenig Relevanz. Damit ist die Frage nach Frauengesundheit am Arbeitsplatz zugleich eine Frage der Gleichberechtigung. 

Indes: Immer mehr Unternehmen stellen den Menschen in den Mittelpunkt. New Work-Ansätze sind beliebt und weit verbreitet. Umso erstaunlicher, dass das Thema Frauengesundheit und zyklusorientiertes Arbeiten nach wie vor so wenig präsent ist. Denn: Wer will, dass sich Mitarbeiter:innen mit all ihren Bedürfnissen und all ihrem Mensch-Sein im Unternehmen wohl fühlen, der kommt am Thema Frauengesundheit nicht vorbei – der Zyklus gehört mit dazu. Es ist höchste Zeit, das Thema Zyklus von seiner negativen Konnotation zu befreien. Die Realität ist leider oft noch immer, den natürlichen Kreislauf beim ersten Anzeichen von Ungleichgewicht mit Hilfe von synthetischen Hormonen zu unterdrücken. Viel gesundheitsfördernder und effektiver ist es, wenn Frauen sich mit der Bedeutung von Bewegung, Ernährung und vor allem Stressmangement auseinandersetzen, um so ihr hormonelles Gleichgewicht zu fördern. Zyklusorientiertes Arbeiten bringt erhebliche Vorteile. Nicht nur für Mitarbeiter:innen, sondern auch für das Unternehmen.

 

Enormes Kreativpotential: Die vier Phasen des weiblichen Zyklus

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten den weiblichen Zyklus einzuteilen. Eine Möglichkeit: Vier Phasen, in denen unterschiedliche Empfindungen und Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Natürlich ist der weibliche Zyklus sehr individuell, daher sind diese Phasen nicht starr oder pauschal zu begreifen, sondern als hilfreiche Orientierung und Einladung zur Selbstreflexion und -beobachtung. Wenn Frauen auf diese Phasen entsprechend gut eingehen, sind sie nicht nur beruflich und privat im Flow, sondern können ihre vollen Potentiale freisetzen und ausschöpfen

 

1. Phase - Menstruationsphase (meist Tag 1-7): Reflexion, strategische Neuausrichtung & persönliche Weiterentwicklung

In der ersten Zyklus-Phase - der Menstruation - braucht der Körper Erholung und Ruhe, die Hormone Progestron und Östrogen sind auf dem tiefsten Niveau und der weibliche Körper benötigt mehr Vitalstoffe. Da in dieser Phase die Kommunikation zwischen rechter und linker Gehirnhälfte am stärksten ausgeprägt ist, hinterfragen Frauen tendenziell mehr. Wenn der Körper die benötigte Ruhe erhält und Frauen sich den notwendigen Rückzug erlauben, können sie eine gute Verbindung zur ihrer Intution aufbauen, da sie nicht so stark in äußere Vorgänge involviert sind. Die alltäglichen Anforderungen dürfen gerne in den Hintergrund treten. Das ist für Frauen mit den unterschiedlichen Rollen, die sie ausfüllen und einem vollen Terminkalender oft eine große Herausforderung. Je weniger sich Frauen aber diesen Rückzug selbst ermöglichen, umso deutlicher fordert der Körper ihn oft ein. Welches Potential steckt in dieser Phase, die in unserer linearen Leistungsgesellschaft so aus dem Rahmen fällt? Frauen können in dieser Phase deutlicher erkennen, was geändert werden sollte. Ein guter Zeitpunkt, sich selbst ein paar Fragen zu stellen: Wie zufrieden bin ich damit, wie mein Leben in den letzten Wochen gelaufen ist? Arbeite ich an den Projekten, die mich interessieren? Was würde ich am liebsten ändern, verbessern, neu ausrichten, um privat und beruflich gesund und erfolgreich zu bleiben oder zu werden?  Wie denke und fühle ich mich im Kontext meiner Familie und meines Arbeitsplatzes? Was sind Veränderungen, die ich vornehmen müsste, um in meinem Beruf und meiner Karriere glücklich und erfolgreich zu bleiben?

 

2. Phase - Follikuläre Phase (meist Tag 8-13): Produktivität & Zielerreichung

In der zweiten Phase – nach der Menstruation bis zur Ovulation – steigt der Östrogenspiegel an, Serotonin und Dopamin werden angeregt. Die meisten Frauen sind körperlich und mental am leistungsfähigsten. In dieser Phase können wichtige Entscheidungen besonders klar und kraftvoll getroffen werden, Ziele gesetzt und Umsetzungspläne erstellt werden. 

 

3. Phase - Ovulationsphase (meist Tag 14-21): Kommunikation & wichtige Termine

Bis zum Eisprung steigt das Östradiol an. In der dritten Phase - der Eisprung-Phase - haben Frauen aufgrund der neurochemischen Zusammensetzung des Gehirns erhöhte verbale Fähigkeiten. Aufgrund der erhöhten Hormonkonzentration fühlen sich Frauen in dieser Phase besonders attraktiv und werden auch so wahrgenommen. Der Östrogenspiegel steigt, ebenso die Sexualhormone Follitropin und das Gelbkörper- oder Luteinisierungshormon Progesteron. Auch der Testosteronspiegel steigt und fördert die Libido. Frauen sind in dieser Phase eher kommunikativ und offen und sozial gerne involviert. Diese Phase eignet sich daher bestens für herausfordernde Termine und Gespräche, die Diplomatie und Fingerspitzengefühl benötigen.

 

 

Die zweite und dritte Phase passen am besten zur leistungsorientierten Gesellschaft und bereiten Frauen daher oft die wenigsten Probleme.

 

4. Phase - Lutealphase (meist Tag 22-28): Innere Kraft, Intuition und Kreativität

In der vierten Phase haben Frauen einen erhöhten Zugang zu ihrer Intuition und Kreativität. Das Gelbkörperhormon Progesteron ist nun dominant, das Östradiol sinkt. Der Körper richtet sich darauf aus, einen Menschen zu erschaffen. Die vorherrschende Themen dieser Phase sind daher Kreation und eher Rückzug von den Aktivitäten aus Phase zwei und drei. Zusammen mit der ersten Phase, der Menstruation, bereitet diese Phase den Frauen die meisten Probleme. Die Energie nimmt ab, erste Stimmungsschwankungen treten auf. Es gibt nicht wenige Frauen, die in dieser Phase besonders starke Emotionen empfinden, von Wut über Aggression bis hin zu Selbstzweifeln. Das hat nicht nur mit der Hormonumstellung und mentalen Themen wie Stressbewältigungskompetenz und Selbstfürsorge zu tun, sondern auch mit der körperlichen Verfassung. Das Immunsystem fährt in dieser Phase etwas runter, um den Fortpflanzungsprozess nicht zu beeinträchtigen. Daher werden Frauen auch in dieser Phase eher krank als in der Follikelphase oder der Ovulationsphase. Für prämenstruelle Beschwerden gibt es vielfältige Ursachen und Zusammenhänge, mittlerweile ist aber klar, dass auch die Darm- und Lebergesundheit sowie der Cortisol- und Insulinspiegel eine große Rolle spielen.

In dieser vierten Phase wollen also die Weichen Richtung Rückzug und innerer Verbundenheit gestellt werden. Wie das gelingen kann, ist meist individuell nicht leicht zu beantworten - Care-Arbeit will weiterhin verrichtet werden und ist meist schon mit voller Energie nur gerade so zu bewältigen, die beruflichen Aufgaben stehen weiterhin mit unverändertem Nachdruck an und auch innere Themen sind relevant: Welche Ansprüche habe ich an mich selbst? Wie viel Rückzug, eigene Bedürfnisse erlaube ich mir? Wie viel Raum gebe ich mir? Wie gehe ich mit mir um, wenn ich nicht so funktioniere(n kann) wie es andere oder auch ich selbst von mir erwarten? Doch gerade in der Lutealphase und in der Menstruationsphase stecken für Frauen auch große Potentiale. Wenn Frauen mit den Qualitäten, die in dieser Zeit dominieren, im Einklang leben, dann können sie Projekte und Aufgaben besonders gut abschließen, sie erkennen mit assoziativem Denken komplexe Zusammenhänge und bereichern jedes Brainstorming. Wenn es Frauen gelingt, aus dem Kopf stärker in den Körper, ins Bauchgefühl zu gehen, sich mehr Freiraum zu geben für Kreation, für Entstehung statt zielgerichteter Produktivität, dann ist diese Phase sehr kraftvoll und bereichernd.

In der vierten Phase geht es darum, dem ganzen System körperlich und mental die Möglichkeit zum Durchatmen zu geben und dem Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug immer mehr Raum zu geben. Dieser Prozess findet seinen Höhepunkt und Abschluss idealerweise dann in der Menstruation. 

Wenn Frauen Rücksicht nehmen auf ihre Bedürfnisse in dieser vierten Phase, dann gibt es auch einen entspannten Übergang zur Phase der Menstruation. Je mehr Frauen im Einklang mit der vierten Phase und der Menstruation leben, umso mehr profitieren sie in den von Aktivität geprägten Phasen vor und während des Eisprungs. 

Da Frauen ebenfalls einen großen Teil ihrer Zeit mit Erwerbstätigkeit verbringen, ist es keine Privatsache zyklusorientiert zu leben. Es geht vielmehr darum, auch zyklusorientiert zu arbeiten. Zyklusorientiertes Arbeiten oder Cycle Syncing (in den Vereinigten Staaten schon deutlich weiter verbreitet) unterstützt Frauen dabei, wesentlich erfolgreicher und vor allem gesünder zu sein und kommt so auch den Unternehmen zugute.

 

Was können Unternehmen konkret tun?

Es gibt viele Möglichkeiten, zyklusorientiertes Arbeiten am Arbeitsplatz umzusetzen. 

Flexible Arbeitszeiten können eine Möglichkeit sein. Hier gibt es schon einige gute Beispiele. Die britische Organisation Coexist hat etwa eine Menstrual Leave Policy eingeführt – also eine Art Menstruationsurlaub. Ganz wichtig außerdem: Die Menstruation sollte fester Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements sein. Das kann bedeuten, dass der Zyklus in bereits vorhandene Maßnahmen, wie etwa Sportkurse, integriert wird. 

Noch nachhaltiger: Es sollte ein Verständnis für zyklusorientierten Arbeiten geschaffen werden und Wege aufgezeigt werden, aufmerksam, achtsam und empathisch die Potentiale der verschiedenen Phasen zu aktivieren. In der Breite beispielsweise durch Impulsvorträge oder Trainings, wie wir von Fink & Fink sie anbieten. Und vor allem auch für den und die Einzelnen – etwa durch entsprechende Coachings für Führungskräfte, Personalverantwortliche oder Mitarbeiter:innen. Auch diese sind ein zentrales Element unserer Arbeit. 

Einige (von Frauen geführte) Unternehmen wie Sakara Life aus den USA, setzen bereits Tools wie das Zyklus-Synchronisierungskonzept von Alisa Vitti (die Autorin des Bestsellers "Woman Code") in ihrem Hauptquartier und mit ihren Teams ein.

 

Von zyklusorientiertem Arbeiten haben alle etwas

Schöner Nebeneffekt: Das so gewonnene Verständnis bleibt nicht auf die Themen Frauengesundheit und zyklusorientiertesArbeiten beschränkt, sondern hat Multiplikator-Wirkung. So berichtet ein männlicher Mitarbeiter bei Coexist ein Jahr nach Einführung der Period Policy: »Offen über Menstruation sowie damit verbundene Themen wie Stimmung, Energielevel, physische und psychische Gesundheit zu sprechen, hat zu einer offenen Atmosphäre im Büro geführt. Es ist nun kein Tabu mehr, dass wir offensichtlich alle gute und schlechte Tage haben.« 

Das Bewusstsein über zyklusorientiertes Arbeiten entfaltet so Breitenwirkung und lässt alle etwas ganz grundsätzlich Menschliches erkennen, das im durchgetakteten Leistungs-Alltag lange Zeit als verdächtig galt: Wir sind Natur. Wir befinden uns alle in stets wechselnden Phasen und Zyklen – menstruationsbedingt oder aus psychischen oder sonstigen Gründen. Wir alle haben gute und schlechte Tage, produktive und unproduktive Phasen. Damit offen umzugehen und die natürlichen Potentiale zu nutzen ist ein Gewinn für Unternehmen ebenso wie Mitarbeiter:innen. 

 

Auf einen Blick

  • Zyklusorientiertes Arbeiten bedeutet, die natürlichen Gegebenheiten des weiblichen Zyklus anzuerkennen und dessen Potentiale zu nutzen.

  • Eine Möglichkeit, den weiblichen Zyklus einzuteilen, ist die Aufteilung in vier Phasen, in denen jeweils unterschiedliche Bedürfnisse und Empfindungen im Vordergrund stehen.

  • Es gibt viele Möglichkeiten, zyklusorientiertes Arbeiten am Arbeitsplatz umzusetzen. Flexible Arbeitszeiten, Ruheräume und vor allem: Ein Verständnis für zyklusorientiertes Arbeiten und seine Bedeutung im Unternehmen schaffen - etwa durch Coachings und Trainings wie wir sie bei Fink & Fink anbieten.

  • Fazit: Zyklusorientiertes Arbeiten bringt erhebliche Vorteile. Nicht nur für Mitarbeiter:innen, sondern auch für das Unternehmen. 


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