Popstar Robbie Williams: »Sei mutig!«

Popstar Robbie Williams: »Sei mutig!«

Wir leben so lange – und so gut – wie noch nie. Zumindest in den westlichen Gesellschaften sollte es uns doch besser gehen als jemals zuvor. Das Paradoxe: Tut es nicht. Die krankheitsbedingten Ausfälle am Arbeitsplatz steigen seit Jahren konstant, fünfzehn Prozent der Deutschen leiden unter einer Form der Angststörung. Überlastete Mitarbeiter:innen brennen und fallen aus. Wir haben das permanente Gefühl, keine Zeit zu haben. Als hechelten wir dem (Arbeits)Leben immer nur hinterher. 

Noch paradoxer: Menschen, die scheinbar alles haben, was sich Otto Normalverbraucher wünschen kann, geht es nicht anders: Im Interview mit T-Online 2019 sagt Popstar Robbie Williams über seinen Ruhm: »Es erreicht mich nicht wirklich. Es ist, als würde ich eine Rolle spielen und die Menschen mögen dieses Bild von mir. Aber das bin nicht ich. [...] Deshalb habe ich früher Drogen genommen und getrunken.«

Egal, welcher Tätigkeit wir also nachgehen: Sind wir vielleicht schlicht inkompatibel mit der Post-Postmoderne, diesem konstanten Zwischenzustand zwischen digitalem und seelischem Hochleistungsbetrieb? Nein, meint US-Psychologe Steven Hayes. Unser Problem: Wir leiden gewissermaßen unter einer kollektiven Anpassungsstörung. Die Welt, wie sie ist, erleben viele als belastend, sie fühlen sich nicht mehr wohl - mit sich und/oder anderen, verspüren eine deutliche innere Unruhe, fühlen sich müde, ausgelaugt - von Lebensfreude und Gestaltungs-Geist keine Spur. 

Psychische Flexibilität

Der Ansatzpunkt, hier eine Änderung zum Positiven zu bewirken: Psychische Flexibiliät. Sie ist zentral in der von Hayes seit den 1980er Jahren entwickelten Acceptance Commitment Therapie (ACT). Für Hayes meint das, »offen zu fühlen und zu denken« - so erklärt er im Gespräch mit Psychologie Heute. Der Schlüssel ist, sich vom eigenen Leid und Schmerz nicht abzuwenden und zu ignorieren oder zu relativieren, sondern sich diesem im Gegenteil bewusst zuzuwenden. Was zunächst kontraintuitiv scheint, macht durchaus Sinn. Das zeigt auch die Studienlage. Und das schon seit langem. Schon Ende der 1980er und in den 1990er Jahren konnte in Studien wie »Paradoxical effects of thought suppression« oder »Hiding feelings: The acute effects of inhibiting negative and positive emotion« nachgewiesen werden, dass die Unterdrückung von Gefühlen und mentalen Zuständen gerade langfristig äußerst problematisch ist. 

Anstatt nach Auswegen für unser Leid zu suchen, sollten wir uns auf die Suche nach einem Zugang zu diesem machen, so Hayes. Der Grund ist so simpel wie einleuchtend: Wir können belastenden Gefühlen und Gedanken nicht entkommen, so sehr wir es auch versuchen. Je mehr wir versuchen, diese loszuwerden, desto dominanter werden sie. Hayes nennt ein solches Verhalten »psychische Starrheit«. Wir begriffen das Leben dann »als Problem, das einer Lösung bedarf, und nicht als Prozess, den es zu durchlaufen gilt.« Nur wenn wir das Leben als Lern- und Entwicklungsprozess verstehen, können wir trotz Leid und inneren Nöten ein werteorientiertes und damit wert-volles Leben führen. Und das ist für uns Menschen existenziell notwendig. 

 

»Abandon the idea of being fearless, and instead walk directly into your fears, with your values as your guide, toward what matters to you. Courage is not an absence of fear; Courage is fear walking.«

 

Der Schlüssel liegt also nicht darin, frei von Furcht zu sein. Sondern den Mut aufzubringen, sich den eigenen Ängsten bewusst und aufrecht zuzuwenden. Eine Erkenntnis, die auch Robbie Williams für sich gewonnen hat: »Die Leute missverstehen Selbstbewusstsein. Ich bin nicht selbstbewusst, aber verdammt mutig. Und jeder kann mutig sein. Du setzt einfach einen Fuß vor den anderen.«

In der Praxis heißt das: Die Acceptance Commitment Therapie verknüpft Techniken aus der klassischen Verhaltenstherapie mit achtsamkeits- und akzeptanzbasierten Strategien. 

Das Ziel: Unsere schmerzvollen Gefühle und Gedanken sollen als nur eine mögliche Interpretation der Realität begriffen werden. Wer es schafft, hier die Perspektive zu wechseln, neue Bezüge zu schaffen und im wahrsten Sinne des Wortes um-zudenken, der kann über diese psychische Flexibilität viel Freiheit für sein eigenes Leben gewinnen. Nämlich: Frei zu entscheiden, welchen Werten und Sinn(en) im Leben gefolgt werden soll. 

Kelly Wilson, Professor für Psychologie und Vertreter der Acceptance Commitment Therapie, fasst das so zusammen:

»In this very moment, will you accept the sad and the sweet, hold lightly stories about what’s possible, and be the author of a life that has meaning and purpose for you, turning in kindness back to that life when you find yourself moving away from it?«

Die Einladung heißt: Lasst uns (wieder) Autor:in unseres Lebens werden. 

Oder, wie Robbie Williams es ausdrückt: »Sei mutig!«

Auf einen Blick

  • Die Welt, wie sie ist, erleben viele als belastend, sie fühlen sich nicht mehr wohl - mit sich und/oder anderen, verspüren eine deutliche innere Unruhe, fühlen sich müde, ausgelaugt.
  • Man könnte sagen, dass wir an einer kollektiven Anpassungsstörung leiden - meint US-Psychologe Steven Hayes.
  • Sein Lösungsansatz: Psychische Flexibilität. 
  • Heißt: Sich  vom eigenen Leid und Schmerz nicht abzuwenden und zu ignorieren oder zu relativieren, sondern sich diesem im Gegenteil bewusst zuzuwenden.


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