Innovative Lehr- und Lernformate: Im Gespräch mit Prof. Dr. Cornelia Hattula

Innovative Lehr- und Lernformate: Im Gespräch mit Prof. Dr. Cornelia Hattula

Die agile Transformation der Arbeitswelt bringt immer höhere Geschwindigkeit, mehr Selbstverantwortung und steigende mentale Anforderungen mit sich. Damit Unternehmen das erfolgreich meistern können, brauchen sie Mitarbeitende und Führungskräfte, die körperlich und mental gesund & leistungsfähig sind. Und damit nicht genug: Um in der VUCA-World bestehen zu können, brauchen die Mitarbeitenden sogenannte Future Skills, zum Beispiel die Fähigkeit vernetzt und in Systemen zu denken, (digital) zu kommunizieren und zu kollaborieren und die Lust am Lernen.

Welche Future Skills aus ihrer Sicht besonders relevant sind und welche Rolle die „Begeisterungsfähigkeit“ in Zukunft spielen wird, hat uns Prof. Dr. Cornelia Hattula, Professorin und Academic Director an der International University of Applied Science, im Interview verraten.

Fink & Fink: Du bezeichnest Dich selbst als „Education Enthusiastin aus ganzem Herzen“. Was gilt es aus Deiner Sicht zu lernen oder auch zu verlernen, um für die Herausforderungen der VUCA-Welt gewappnet zu sein?

Prof. Dr. Hattula: Aus meiner Perspektive sind eine Handvoll übergeordnete Future Skills ganz besonders wichtig, um in der VUCA-Welt bestehen zu können.

  1. Begeisterungsfähigkeit: Begeisterung für die eigenen Themen ist ansteckend und erzeugt Momentum. Sprich, wir müssen und dürfen wieder lernen, uns mit Themen zu beschäftigen, die uns wirklich „kitzeln“ und zum anderen diese Begeisterung dann auch zu teilen.
  2. Lernfreude: Die kommt uns leider über den Bildungsweg hinweg meist systematisch abhanden. Wir dürfen also lernen, wieder gern zu lernen und uns weiterzubilden/zu entwickeln. Dabei müssen wir verlernen, dass „Lernen“ immer per Buch/Skript und in formellen Kontexten passiert und uns für ganz neue Lernwege öffnen.
  3. Collaboration & Co-Creation: Viele von uns arbeiten ja seit Covid viel in verteilten Teams. Wir dürfen also lernen digital zu kommunizieren, im digitalen Umfeld menschliche Nähe herzustellen und verlernen müssen wir vielfach die gängigen Regeln der Kommunikation. Ein Beispiel „über Gefühle spricht man nicht“. Doch, tut man. Schon weil wir nicht mehr in der Kaffeeküche der Kollegin ins Gesicht schauen können und „sehen“ können, dass etwas nicht stimmt.
  4. Empathie: Diese spielt auch für 3. eine große Rolle. Sich in Menschen hineinzuversetzen und ein Gespür für Situationen zu entwickeln ist von unschätzbarem Wert in unserer (digitalen) Arbeitswelt.

Fink & Fink: Was braucht es organisatorisch und individuell, um die notwendigen Skills auch wirklich zu leben?

Prof. Dr. Hattula: Organisatorisch ganz sicher die Bereitschaft der Unternehmen, Prozesse, Abläufe aber auch das tägliche Miteinander anders zu denken. Als Beispiel für „Lernfreude“ schaffen: Plant Weiterbildungen nicht als vollgepackte zweitägige Blockveranstaltungen mit gleichem Input für alle, sondern überlegt, wie Wissen anders verpackt werden kann. Z.B. mit Weeks of Learning in welchen die Mitarbeitenden eigenständig Wissen zu einem Thema zusammentragen und dieses teilen. Individuell braucht es aus meiner Sicht ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit.

 

Fink & Fink: Wie können Unternehmen die Selbstführung von Mitarbeitenden am besten fördern?

Prof. Dr. Hattula: Indem sie den entsprechenden Raum lassen. Schauen wir uns mal an, was erfolgreiche „Selbstführung“ ist. Das heißt ja nichts anderes, als dass ich meine Aufgaben effektiv und effizient erledige, aber auch meinen eigenen Energiehaushalt, meinen Biorhythmus etc. im Blick habe und mich weder über- noch unterfordere. Das heißt Unternehmen müssen den Mitarbeitenden die Flexibilität erlauben, sich das passende Setting individuell zusammenzubauen – und die Mitarbeitenden müssen wiederum bereit sein, kontinuierlich sich selbst zu reflektieren.

 

Fink & Fink: Wir arbeiten in unseren Trainings mit agilen Methoden. Aber vor allem klären wir die Frage: „Was ist meine Motivation für einen gesunden Lebensstil?“. Was motiviert Menschen aus Deiner Sicht am meisten, neue Wege zu gehen und sich zu verändern?

Prof. Dr. Hattula: Die Erkenntnis, dass es so, wie es jetzt ist, nicht gut ist. Auch hier kommt die Selbstreflexion wieder ins Spiel. Der „Groschen muss bei uns selbst fallen“. Ein reines Spiegeln von außen dagegen weckt eher den eigenen Widerstand.

 

Fink & Fink: Was sind die größten Hindernisse, Neues zu lernen?

Prof. Dr. Hattula: Die meisten Menschen orientieren sich beim „Lernen“ an den Dingen, die sie nicht gut können, von denen sie aber meinen, dass sie darin „besser“ sein müssen. Das heißt, sie „zwingen“ sich an das Thema und beschäftigen sich dann auch nur mit dem entsprechenden Widerwillen damit. Mein Ansatz wäre, sich eher an den eigenen Stärken zu orientieren und sich hier weiterzuentwickeln. Der Hebel ist sehr viel größer, wenn meine Stärke zu echter „Exzellenz“ wird, als an meinen Schwächen herumzulaborieren. Ein zweites Hindernis ist, dass im Alltag allzu oft die Zeit für „Lernen“ fehlt. Die Tage sind mit Meetings vollgepackt – was am ehesten hinten runterfällt ist die Zeit, sich mit Themen zu beschäftigen, die uns interessieren und weiterbringen könnten. Mein Lösungsansatz wäre, sich Lernprojekte deshalb so kleinteilig zu „schneiden“, dass sie auch in den vollgepacktesten Alltag passen. Eine Viertelstunde am Tag für ein neues Youtube-Video zum aktuellen „Begeisterungsthema“ kriege ich ganz sicher eher eingeplant, als die Aufgabe, ein 500-seitiges Fachbuch zum Thema innerhalb der laufenden Woche zu lesen.

 

Fink & Fink: Unser Anspruch ist es, unseren Kund:innen ein „unvergessliches“ Angebot zu bieten, d.h. wir wollen das Wissen so relevant gestalten und verankern, dass daraus relevante Veränderungen möglich werden. Was sind Deine Tipps, um Wissen & Erkenntnisse nachhaltig in den eigenen Alltag integrieren zu können?

Prof. Dr. Hattula: Ich fahre am besten, wenn ich nach dem Tiny Habits-Ansatz vorgehe. Das heißt, ich versuche mir das, was ich lernen bzw. im Alltag verankern will, so klein zu „schneiden“ wie möglich. Z.B. habe ich vor einigen Wochen das Buch „50 Sätze, die das Leben leichter machen“ gelesen – sehr kurzweilig übrigens und sowohl im Arbeitsalltag als auch im Privatleben nutzbar. Für meine fünf Favoritensätze habe ich mir ein Cheatsheet gebastelt mit dem Satz, der Situation in der dieser gut passen würde und dann einfach einem Habit-Tracker zum Kreuzen, wenn man den Satz angewendet hat. Das hilft mir einerseits, die Anwendung des Satzes für mich so greifbar wie möglich zu machen und andererseits sehe ich auch den Lernerfolg mit den Kreuzen unmittelbar vor mir.

 

Fink & Fink: In Online-Formaten Wissen zu vermitteln, bietet ganz neue Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen. Was ist nach Deinen neuesten Forschungserkenntnissen unbedingt zu beachten?

Prof. Dr. Hattula: Das es nicht „das“ eine Online-Format gibt, dass für jeden passt. Der eine mag Videocontent – damit kannst du den anderen aber jagen. Der nächste wiederum mag Podcasts, der vierte lernt am besten mit Artikeln und Case Studies. Formal ist aus meiner Sicht am wichtigsten, die Lerneinheiten möglichst kurz und knackig zu halten (max. 15 Min.). Das ergibt sich aus vielen Mediennutzungs-Studien – es zeigt sich, dass bei zu langen Einheiten die Aufmerksamkeit rapide abfällt. Und inhaltlich ist ein guter Medienmix zu empfehlen: mal ein Video, dann ein Artikel oder Podcast – möglichst nicht mit redundantem Inhalt, sondern jeweils als Ergänzung zueinander.

 

Fink & Fink: Unser Herzensthema ist es, dass Menschen die zahlreichen Herausforderungen nicht nur erfolgreich, sondern auch gesund meistern. Du bist selbst erfolgreiche Professorin und bald dreifache Mutter. Verrätst Du uns Deine persönlichen Strategien, um langfristig belastbar zu bleiben?  

Prof. Dr. Hattula: Puh, leider habe ich die „100%-Lösung“ hier auch noch nicht gefunden. Mir persönlich hilft es, ca. eine Stunde vor meiner Familie aufzustehen und in aller Ruhe in den Tag zu starten. Mit einer Tasse Kaffee, einem Podcast, einer Runde Yoga oder einem Buchkapitel. Wenn ich diese „Me-Time“ gleich zu Beginn des Tages habe, komme ich entspannter durch den Tag. Ein zweiter Tipp ist sicherlich, im jeweiligen Moment zu sein statt auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Sprich, wenn Kinderzeit ist, nicht nebenher noch mit einem Ohr im Meeting sein. Ehrlicherweise übe ich das „im Moment sein“ aktuell aber noch ziemlich ;-)

     

Conny Hattula ist aus ganzem Herzen Education Enthusiastin! Sie brennt für Themen rund um die "Hochschule der Zukunft" und "New Learning" und ist fest davon überzeugt, dass wir uns bei der Gestaltung der Lernwelten der Zukunft nicht mehr an starren Curricula und Buzzwords orientieren dürfen, sondern die Inhalte, Lernmedien und Lernformate individuell denken müssen. Diese Erkenntnis resultiert aus Connys fast zehnjähriger Erfahrung in unterschiedlichen Funktionen im Hochschulmanagement und Corporate Learning und entsprechend vielen Gesprächen mit Studierenden und Lernenden. In ihrer aktuellen Position an der IU beschäftigt sich Conny deshalb damit, Lerninhalte, -medien und -formate zu entwickeln, die Lust machen, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Mehr zu Conny findet ihr auf LinkedIn unter https://www.linkedin.com/in/corneliahattula/


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